Pferdemusical in Guntmadingen

Flashback zurück ins 2004: Wer innert sich noch an unser Musical in der Guntmadinger Reithalle? Schön wars….

Dieser Artikel ist am 18.12.2004 in der NZZ online erschienen.

Ein sanfter Hauch von Wildem Westen

Pferdebegeisterte führen in der Ostschweiz zum vierten Mal zusammen mit ihren Lieblingen ein Musical auf – zur eigenen und zur Freude anderer Pferdemenschen. Sie rücken die Tiere zu Musik ins Rampenlicht: ein Blick vor und hinter die Kulissen.

18.12.2004

Wer ein «Western-Pferdemusical» mit unzimperlichen Cowboys, mit spitzen Sporen und knallender Peitsche, mit Schiesseisen oder Countrymusic in Verbindung bringt, hat falsch herum gesattelt. Die Darsteller geben sich als feinfühlige, der Natur der Pferde nahe Reiter, und das Musical im schaffhausischen Guntmadingen am vergangenen Wochenende war ihr Fest. Die mehreren hundert Eingeweihten, die sich an den beiden Abenden auf der Holztribüne im Reitstall drängten, bekamen, wovon sie träumen: kleine Nummern im Westernreiten, einer Art des Dressurreitens, untermalt mit sanften Popsongs.

Der Geruch des Wilden Westens

Westernreiten kommt ursprünglich aus Amerika. Es entstammt der Gebrauchsreiterei der Rancharbeiter. Die Arbeit mit der Rinderherde erfordert ein Pferd, auf das sich der Reiter voll und ganz verlassen kann. Es muss springen können, wendig sein, von einer Minute auf die andere wieder ruhig und gelassen stehen bleiben. Der Sitz soll bequem sein, der Reiter strebt eine möglichst entspannte Reitweise an, die durch minimale Hilfen eine absolute Kontrolle über das Tier garantiert. Das Pferd soll zu einem selbständigen Mitarbeiter des Reiters erzogen werden, das selbst auch Spass an der Sache hat. Quarterhorses, Painthorses und Appaloosas heissen typische Rassen in Übersee; hierzulande machen sich auch Haflinger, Araber oder Ponys ganz gut als Westernpferde.

Einen Hauch von Western – das Ausdünsten der Pferde, der Stetson und das obligate rote Halstuch – gibt es auch in Guntmadingen. Pferdetrainer Berni Zambail, Leiter des Stalls Oberneuhaus, der als Bühne des Musicals dient, tritt mit diesen Utensilien und breitem Schnauzbart auf. Zambail ist Engadiner, gelernter Hufschmied, seit seiner Kindheit Pferdefreund und war während zweier Jahre Cowboy auf einer Viehranch in Nordkalifornien.

Denken wie ein Pferd

Sein Pferd Apartis, ein fuchsfarbiges Schweizer Warmblut, weicht nicht von seiner Seite, während er mit der Berichterstatterin spricht. Als vierjähriger «Verbrecher» sei Apartis zu ihm gekommen, völlig unberechenbar und von seiner damaligen Besitzerin bereits in der Pferdemetzgerei angemeldet. Zambail hat es gebändigt. Seine Methode war jene des Amerikaners Pat Parelli, der als «Pferdeflüsterer» bekannt ist und eine Ausbildung von Reiter und Ross auf der Basis von «Liebe, Sprache und Führung» propagiert. Zambail ist selbst Instruktor für «Parelli Natural Horsemanship». Wolle man ein Pferd sicher und exakt führen, müsse man selbst «denken wie ein Pferd» und verstehen, was es motiviere, erklärt er die Lehre.

Spricht Zambail von seinem Pferd, klingt es, als ob dieses sprechen und handwerken könnte: Apartis «fragt ab und zu nach» oder «sägelet mir am Stuhlbein». Gemeint ist, dass das Tier die Rangfolge zwischen sich und dem Menschen testet, indem es etwa eine Handlung verweigert. Auch in der Natur zeigten Pferde in einer Herde dieses Verhalten. Immer wieder gehe es darum, festzustellen, wer das Alphatier sei, erklärt Zambail. Ein guter Reiter wolle zum Alphatier werden, zu einem, dem sein Pferd vertraue. Damit dies gelinge, müsse der Mensch «Pferdekommunikation» erlernen. Wenn jemand Probleme mit seinem Pferd habe, gründe dies oft in der Kommunikation: «Menschen denken wie Raubtiere, Pferde wie Fluchttiere. Kein Wunder, gibt es da Schwierigkeiten.» Die Kunst sei nun, dem Tier die Angst zu nehmen. Sicherheit sei die Hauptmotivation eines Pferdes. Sekundär wünsche es sich Komfort, an dritter Stelle stehe das Spielen.

Zambail gibt eine kleine Privatvorführung. Noch dauert es ja zwei Stunden bis zur eigentlichen Show. Dort wird er mit seinem Apartis den Tanz mit dem Sonnenstrahl geben – rund um einen 3,5 Meter langen Holzstab, den er vom Pferd herunter auf die Erde richtet und um den das Tier Pirouetten drehen soll. Seine andere Rolle ist die eines bösen «Donnerreiters».

Pferdeflüsterer? – Nein, Pferdemensch

Im Moment ist die Halle leer. Nur mit einem dünnen Stab bewaffnet, dessen Ende in einen ebenfalls dünnen Strick übergeht, steht der Herr von Oberneuhaus vor das Pferd. «Wir spielen jetzt das Freundlichkeitsspiel», sagt er. Er streicht dem Tier mit seinem Stab über den Rücken und zwischen den Beinen durch, dann wird er laut, knallt mit dem Seil auf den Boden. Apartis hält still. Weitere Spiele folgen, zum Beispiel das «Circling Game», bei dem das Pferd beginnt, ohne Unterbruch und gleichmässig im Kreis um seinen Meister zu laufen, bis dieser ihm mit einer kaum erkennbaren Bewegung des Stabs abrupt Stehen gebietet. Einmal geht der Vierbeiner diagonal nach hinten. Dann galoppiert Zambail Seite an Seite mit dem Pferd, die beiden tänzeln umeinander. Plötzlich – war es auf ein Wackeln des Zeigefingers hin? – geht Apartis brav rückwärts. Die Vorstellung verblüfft, weil die Bewegungen, die als Befehle dienen, minimal oder nicht erkennbar sind. Haben wir es hier mit einem schweizerischen Pferdeflüsterer zu tun? Nein, lacht Zambail, er bezeichne sich selbst als Pferdemensch. Einer, der sich in der Sprache der Pferde ausdrücke – in der Körpersprache.

Berni mit Apartis

Idee und Umsetzung

Draussen, in den Ställen und in den Gängen dazwischen, sind die Vorbereitungen in vollem Gange. Menschen und Tiere werden geschmückt. Kostüme sind genäht worden, Indianerkleider, Feengewänder und Cowboy-Outfits. Zwei kleine Indianermädchen kämmen und striegeln ihre Ponys. Die grossen Pferde – im Musical die guten Wolkenpferde und bösen Donnerpferde – erhalten Glitter in Mähnen und Schweife, ihre Flanken und Köpfe sind schon bemalt. Monika Vehlow, in ihrem anderen Leben als IT-Supporterin in Zürich tätig, macht sich auf der Tribüne an den Anlagen für Musik und Licht zu schaffen. Sie ist die Organisatorin und neben Christine Sturzenegger, der Frau von Berni Zambail, Co-Autorin des tierischen Musiktheaters. Beide sind sie erklärte Pferdemenschen. Vehlow reist viermal wöchentlich von Zürich nach Guntmadingen, um ihr Pferd zu reiten. Sturzeneggers erstes Wort, so überliefern ihre Eltern, war Pony.

Die Idee zum Musical hatte Christine Sturzenegger an einem Dezemberabend 2001, als sie zu Tisch sass und feststellen musste: In Guntmadingen läuft nichts. Andernorts gab es Weihnachtsspiele, in Guntmadingen war diese Tradition eingeschlafen. In jener Nacht schrieb sie das ganze erste Pferdemusical; «Das verzauberte Einhorn» hiess es und war eine romantische Geschichte zum Träumen. Wider Erwarten seien etwa 50 Zuschauer gekommen. Die «Wolkenpferde» sind ihr viertes Musiktheater mit Vierbeinern.

Die Geschichte ist einfach. Im Grunde sei sie um die Nummern herum gebaut worden, in denen Pferde und Trainer ihre Ausbildungstechniken üben. Im Mittelpunkt stehen friedliche Indianerfamilien, die vom guten Willen und Wirken der Wolkenpferde abhängig sind. Plötzlich wird die heile Welt von finsteren Donnerpferden bedroht, die Hunger und Unglück bringen. Es kommt zum Kampf, das Gute siegt. «Was die epische Tiefe betrifft, sind wir begrenzt», schmunzelt Mitautorin Vehlow, Hauptsache, es gebe einen roten Faden.

Die Show beginnt

Mittlerweile drängen die Zuschauer auf die Tribünen. Es ist bitter kalt, die Wolldecken sind heiss begehrt. Das Publikum besteht vor allem aus Freizeitreitern oder Freunden von Pferdehaltern. Ein roter Lichtkegel fällt auf den weichen Hallenboden. Monika Vehlow fährt die Einstiegsmusik hoch, Andreas Vollenweiders «White winds and white boat». An den Wänden der Halle kleben Wattewolken. Herein kommen die Indianerkinder mit Ponys, auch Schlittenhunde sind dabei, der Scheinwerferkegel verfolgt sie, und aus dem Off setzt die Stimme der Geschichtenerzählerin Mo Kleist ein. Nacheinander zeigen die auftretenden Engel, Indianer und Cowboys, was ihre Pferde können. Sie lassen sie tänzeln, drehen, traben, stoppen und aufbäumen. Ein Mädchen übt sich mit einem Stock als Dirigentin. Die Bewegungen der Menschen und Pferde wirken sanft und fliessend. Wenn die Tiere ausschnauben, hängt der Dampf noch lange in der kalten Luft.

Zwischen den Nummern singt die Erzählerin ein «Hejaheija-ho». Die Zuschauer klatschen in ihre Handschuhe. Der Götterbote, dargestellt von Don Alfredo, einem weissen, cleveren Maultier, zeigt sein besonderes Kunststück: Es bäumt sich auf, landet auf den Vorderbeinen und schlägt gleich kräftig nach hinten aus. Mit schwarzem Umhang, Maske und wehenden Fahnen fahren dann die drei Donnerreiter auf einer Marathonkutsche an einem Zweispänner ein, begleitet von martialischer Musik. – Es folgt die Pause mit Tee und Kuchen für die Zuschauer. Erst danach kann Don Alfredo die Wolkenpferde zu Hilfe holen. Zum Schluss herrscht wieder Friede auf Erden, Wolkenpferde, Ponys und der Sonnenkönig zeigen ihre finalen Nummern. Applaus! Bevor die Zuschauer gehen, falten sie die Wolldecken zusammen. Draussen trifft man sich noch auf einen Schwatz, gratuliert oder nimmt Gratulationen entgegen und wärmt sich mit einer Tasse Kaffee im benachbarten Landgasthof – natürlich erst, nachdem die Pferde versorgt sind.

Annemarie Straumann | www.nzz.ch/festplatz

Ein weiteres legendäres Musical aus dem Hause Zambail: „Das letzte Einhorn“

Erinnerungen an die Weihnachtsaufführungen in Guntmadingen

Kinder und Pferde

Auch Kinder durften bei den Musicals mitwirken.

In der „Guntmadinger Zeit“ wurden bei Berni Zambail auch die beliebten Kidskurse durchgeführt – hier eine Lerngruppe aus 2014. Die Kinder durften jeweils auf dem Hof übernachten und wurden von Christine in dieser Zeit liebevoll bekocht und umsorgt.

Kidskurse bei Berni Zambail (unter liebevoller Betreuung durch Christine Zambail ) waren beliebt - hier eine Aufnahme aus 2014.