Die Sache mit der Angst

Von Sabine Keller, im Mai 2022

Wenn eine ältere Frau (ich) ein junges Pferd (Felicita) übernimmt, kann das ganz schön schwierig werden. Zumal das Left Brain / introvertierte Fribi-Stütli in ihrer kurzen Reitpferdkarriere schon gelernt hatte, dass Menschen herumtragen gar keinen Spass macht. Und die Right Brain
/ extrovertierte Dame im Sattel mit den Jahren immer ängstlicher wurde.

Ich war damals schon längere Zeit Parelli-Studentin und habe auch mit Felicita einige ParelliKurse besucht. Die zwei Monate Ausbildung bei einer Instruktorin haben zusätzlich geholfen, dennoch war die Partnerschaft zwischen mir und Felicita nicht wirklich gut. Gingen wir mit anderen Pferden ausreiten, liess Feli gerne den anderen den Vortritt. Waren wir alleine unterwegs, erschrak Felicita bei jedem noch so kleinen Furz. Oft sprang die Stute dann zur Seite und setzte gleich noch eine Wendung drauf. So gingen dann auch einige Weidezäune zu Bruch und einmal sogar die Reiterin zu Boden.

Wollten wir durch einen der vielen Höfe in unserem Gelände reiten, machte sich Felicita in Hals und Brust so fest wie Beton, und ich erstarrte gleich mit ihr. Ich bemühte mich, lockerer zu werden, Vertrauen zu haben und mit einem guten Fokus zu reiten. Nach und nach wurden unsere Ausritte etwas gelassener.

Doch Felicita hatte wenig Freude an langen Ausritten, sobald ich auf eine der längeren Strecken abbog, blieb das Pony vor dem nächsten Hof stehen.

«Da kann ich unmöglich durch, da steht ein … und das Ding dort springt mich auch gleich an.»

Probiere es mal mit Freundlichkeit… Denkste! Mach etwas Druck… Oh je keine gute Idee! Felicita machte kehrt und versuchte, nach Hause zu rennen. Manchmal funktionierte das Durchreiten dann doch irgendwie, öfter aber blieb mir nur noch das Absteigen.

Ich hatte mich damit abgefunden und freute mich an den kleinen Fortschritten und war frustriert ob der Rückschritte, die es immer wieder gab. Aber ich wusste auch ganz genau, dass es an mir lag, dass meine Stute nicht entspannen konnte. Manchmal überlegte ich mir sogar, Felicita gar nicht mehr zu reiten.

Seminar mit Berni Zambail

Im Frühjahr 2021 besuchte ich das Seminar «Die Sache mit der Angst» von Berni Zambail in Fehraltorf. Der Kurs war interessant, ich dachte mir, das meiste kenne ich ja schon, aber eine Auffrischung tut gut. Ich wusste von früheren Parelli-Seminarbesuchen, dass ich erst in den darauffolgenden Tagen jeweils wirklich merkte, wieviel bei mir hängen blieb und dass ich mehr profitiert hatte als gedacht. Bei diesem Seminar ritt unter anderem eine Studentin ihr Pferd sehr konzentriert die von Berni gestellten Aufgaben, die da waren:

  • Das Pferd sollte in Ecken und an Gegenstände geritten werden, denen gegenüber es skeptisch war.
  • Die Reiterin sollte gerade gerichtet auf das Ziel hin reiten.
  • Hielt das Pferd an, sollte sie es geradegerichtet ein / zwei Schritte rückwärts fragen, um dann wieder geradegerichtet vorwärtszureiten.
  • Nach dem Prinzip, du darfst vorwärts, so gut oder soweit oder so schnell, wie du kannst, wenn du dich fürchtest, darfst du auch ein paar Schritte rückwärts gehen, aber immer geradegerichtet!

Unter Bernis Anleitung und mit gutem Fokus erfüllte die Studentin ihre Aufgabe mit Bravour. Diese Bilder haben sich bei mir eingeprägt.

Ausritte entspannt geniessen!

In der Fragerunde am Schluss des Seminars erzählte ich von meinen Ausreitproblemen. Bernis Antwort kam prompt:

«Das ist hausgemacht!»

„Na, danke schön!“ dachte ich mir, das weiss ich doch und komme nicht dagegen an.

Dann Bernis Ratschlag: Reite an die Stelle, an welcher dein Pferd nicht weiter kann. Dort darf es vorwärts und auch rückwärts gehen, aber es soll immer geradegerichtet bleiben. Du probierst so lange, wie es braucht, vielleicht Minuten oder Stunden, aber du bleibst dran.

Am Tag darauf ritt ich mit Felicita, den Ratschlägen von Berni und den Bildern vom Kurs im Rucksack, Richtung Problemhof. Früh merkte ich schon, dass es unterwegs etwas besser lief als üblich. Also dann, rechts abbiegen, den Weg runter zum Hof. „Nein, das geht gar nicht,“ sagte Felicita, „dort unten steht ein Monster, mit Plastik zugedeckt, in der Wiese und dann hat es da noch einen Spielplatz mit jenem farbigen, flatternden Zeugs, das Bildstöckli am Wegrand und dann die Rinder, die unverhofft aus der Stalltüre kommen…!“

Ich war fest entschlossen, das Gelernte so gut wie möglich umzusetzen. Na ja, ein halber Schritt vorwärts und zwei zurück und dabei das Pferd nicht wenden lassen, ob das zum Ziel führt?

Es war volle Konzentration und Durchhaltewille nötig – und nein, ich wurde nicht zum Raubtier. Nach 20 Minuten war es so weit: Felicita ging vorwärts, verspannt und mit vielen Hüpfern, aber es ging in die richtige Richtung. Unterstützt mit viel Lob und Streicheleinheiten meinerseits und am Ende des Hofes gab es ein Leckerli. Der weitere Ausritt war besser als gewohnt. Bei jeder Hofdurchquerung gab es viel Lob und etwas Feines danach.

Seit diesem Tag hat Felicita nie mehr verweigert, wohl anfangs nochmals gefragt, ob sie wirklich da durch muss, aber sie hat immer ja gesagt. Oft war es noch sehr verspannt und Felicita musste nach der Passage ausschnaufen. Ich war mir dann immer bewusst, dass es an mir liegt, mehr zu entspannen. Ich habe mir dann die Aufgabe gestellt, den Zügel an seinem Ende zu halten und geradeaus zu denken. Sogar nach einer zweimonatigen Verletzungspause waren wir wieder gut unterwegs.

Heute – ein Jahr nach dem Angst-Seminar – sind Felicita und ich wirklich gute Partnerinnen geworden. Sie sagt manchmal noch: „Schau, das sieht gefährlich aus!“ und ich erwidere: „Ich hab’s gesehen, aber das geht schon.“

Felicita vertraut mir und ich vertraue ihr. Mein Fokus ist nicht mehr nur im Kopf, sondern ganz selbstverständlich im Körper angekommen. Wir sind zusammen entspannt und mein Traum, im Alter mit einem feinen Pony gelassen ausreiten zu können, ist erfüllt.

Am liebsten würde ich jedem jeden Tag erzählen, was für eine großartige Partnerin ich habe.

Herzlichen Dank, lieber Berni!

  • Foto 1: Sabine Keller
  • Foto 2: Envato Elements (fourelse ag)